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Joe Nichols steht für die Country Night Gstaad 2005
Von Friedrich Hog

Die Country Night im schweizerischen Gstaad fand am Freitag, den 09. September und Samstag, den 10. September 2005 zum 17. Mal statt. Obwohl das Schweizer Fernsehen SF DRS dieses Jahr aus Etatgründen nicht aufgezeichnet hat, war der Event wie im Vorjahr ausverkauft. Doris Ackermann, Britta T. und Sanna aus der Schweiz eröffneten mit niveauvoller akustischer Country Music. Joe Nichols setzte sodann in jeder Hinsicht den absoluten Höhepunkt des Festivals. Deana Carter überzeugte mit anspruchsvollen Liedern, blieb aufgrund der rockigen Begleitband aber ein wenig blass. Headliner John Michael Montgomery fand zusehends Ver-gnügen am Festival und gab alles. Der Sound war durchweg hervorragend. Das Rahmenprogramm ermöglichte u.a. den Erwerb von CD’s, DVD’s und LP’s, Chris-toph Schwegler von Radio DRS-3 moderierte den Freitag, Jürg Hofer führte durch das Samstagsprogramm.

Pünktlich um 19 Uhr begann am Freitag das Festival mit der gemeinsamen Show von Doris Ackermann, Britta T. und Sanna. Von Anfang an beeindruckten die Top-Ladies der schweizer Country-Szene mit großartigem Harmoniegesang, Doris Ackermann übernahm Alt, Sanna Mezzo und Britta Sopran. Mit zwei Stücken von “Trio” Emmylou Harris, Dolly Parton & Linda Ronstadt setzten sie einen niveauvollen Einstieg, “To Know Him Is To Love Him”, “Those Memories Of You”. Begleitet wurden sie von Heinz Grob (Dobro), Rick Norlander (akustische Gitarre, Mandoline), Gia-como Torsello (Keyboard) und Dusam Prusak am Kontrabass. Sehr schön setzte das Trio auch “Forever You” in Szene, eine Position 14 aus den Country Charts von 1984 für die Whites, geschrieben von John Beland (Flying Burrito Brothers). Wynonna’s “Let’s Make A Baby King” ging ein wenig in’s bluesige und zeigte die Bandbreite der Show, die völlig anders funktioniert, als die jeweiligen Soloprogramme der drei Damen. Britta T. rockte nämlich jeweils im Anschluss an die Auftritte im Zelt weit nach Mitternacht noch in der angeschlossenen Tennishalle gemeinsam mit “Texas Radio”, mit denen sie schon seit 12 Jahren zusammenarbeitet. Die gemeinsame Show gibt es seit 3 Jahren, begonnen hatte alles im Rahmen von Weihnachtsauf-tritten.

Nach einer kurzen Umbaupause betrat der 28-jährige Joe Nichols aus Rogers, Ar-kansas die Bühne. Von seinen CD’s “Man With A Memory” (2002) und “Revelation” (2004) wurden bereits rund 1,5 Millionen Exemplare verkauft, die dritte CD wird noch dieses Jahr erscheinen. Mit “Brokenheartsville” und dessen unverkennbarem Intro begann der Auftritt des lockeren und spielfreudigen Künstlers, Platz 1 der Bill-board Country Hitparade am 29. März 2003. Die glasklare Baritonstimme des dun-kelhaarigen Sängers und sein Funkeln in den Augen ließen insbesondere die weib-lichen Zuschauer sicherlich nicht unbeeindruckt. Jedes Instrument erklang in Voll-endung, Steel Guitar hatte einen wichtigen Platz eingenommen. “The Impossible”, eine clever getextete Ballade, war 2002 sein erster Top 10 Hit und durfte ebensowenig fehlen wie sein jüngster Hitparadenerfolg “What’s A Guy Got To Do”, Platz 4 im Mai 2005. Seine Vorbilder sind Merle Haggard, George Jones, Willie Nel-son, Randy Travis und Alan Jackson. Von “The Hag” gab’s “I Think I’ll Just Stay Here And Drink” und “Misery And Gin”, im Original Jahrgang 1980 und Platz 1 respektive 3 im Billboard. Die stimmliche Interpretation von Joe Nichols war den Titeln bestens angemessen. Sehr schön auch Steve Earle’s “My Old Friend The Blues”. Entgegen der Gepflogenheiten in Gstaad holte Joe Nichols die Fans bald schon nach vorne an die Bühne, der gesamte Saal stand und war begeistert. Als “Honky Tonk Women” von den Rolling Stones und “Family Tradition” von Hank Williams jr. er-klangen, gab’s kein Halten mehr. Seine aktueller Hit stürmt gerade an die Spitze der Hitparade, “Tequila Makes Her Clothes Fall Off”, kommt ebenfalls prächtig herüber, Platz 32 am 10. September im Billboard, die Vorwochenplatzierungen waren 34, 40, 52. Willie Nelson’s “Whiskey River” und Gene Watson’s “Farewell Party” waren weitere Highlights aus dem Repertoire anderer Künstler, “Haggard’s “Oakie From Muskogee” vom Freitag wurde am Samstag durch “Longhaired Countryboy” von Charlie Daniels ersetzt. Der Auftritt von Joe Nichols hat bewiesen, dass man mit gut gemachter unverfälschter Country Music auch heute noch bes-tes Entertainment auf die Bühne bringen kann. Joe Nichols dürfte sich als künftiger Sänger und sogar Entertainer des Jahres empfehlen.

Nach einer großen Pause, die man zum Essen bzw. Trinken in der Tennishalle nutzen konnte, stellten die Organisatoren ein Hilfsprogramm für die Opfer der Flutkatastro-phen in den USA und der Schweiz vor, auf www.countrynight-gstaad.ch findet man die Kontonummer, auf die man spenden kann, Konto 16 192.909.07 bei der Saanenbank, Vermerk “New Orleans-Schweiz”. Ferner hat Organisator Marcel Bach die Sponsoren genannt, Hauptsponsoren in diesem Jahr waren Land Rover und die Swisscom.

Wer nach Joe Nichols auf die Bühne muss, hat es nicht leicht, egal wer auch im-mer es sein mag. In Gstaad traf es die 39-jährige Deana Carter aus Nashville, Ten-nessee, die seit 5 Jahren in Los Angeles, Kalifornien lebt. Mit ihrer CD “Did I Shave My Legs For This” und einigen großen Hits hatte sie vor knapp 10 Jahren einen er-folgreichen Karrierestart. Ihre Lieder überzeugen durchweg durch die anspruchs-vollen Texte, die offensichtlich aufgrund der sprachlichen Barrieren nicht bei allen Zuschauern ankamen. Da ihre Band sehr E-Gitarren-lastig strukturiert war und das Schlagzeug massiv Druck erzeugte, ging ihre Performance in Gstaad etwas unter, wobei sie am Samstag am Ende ihres Auftrittes standing ovations erhielt und “Mid-night Rider” als Zugabe gab. Das Freitagspublikum hatte sie nicht mehr auf die Bühne zurückgeholt und diese tolle Gregg-Allman-Nummer verpasst. Deana Carter hatte mit ihrem Gesang und ihrer ansprechenden Art durchweg überzeugt, ihr Nummer-1-Hit “We Danced Anyway” war ebenso enthalten wie “Did I Shave My Legs For This”. Sehr schön auch “Absence Of The Heart” aus ihrer 2. CD von 1999, “Everything’s Gonna Be Alright”, das sie während ihrer Scheidungszeit geschrieben hatte. Bei “In A Heartbeat” griff Deana Carter zur 12-saitigen Gitarre. Gitarren sind ohnehin ihre Leidenschaft, hat doch ihr Vater Fred Carter jr. für fast alle Größen der Country-, Folk- und Rockmusik Gitarre gespielt, von Bob Dylan bis Simon & Garfunkel. Am Ende ihres Auftritts stand jeweils ihr Durchbruchhit “Strawberry Wine”, der von den schönen Gefühlen junger Liebe schwärmt.

John Michael Montgomery ist seit 1992 ein Star, der am 20. Januar 1965 in Danville, Kentucky geborene Sänger und Gitarrist hatte damals mit “Life’s A Dance” auf Anhieb Platz 4 der Country Hitparade erreicht und mit diesem Lied nach einer weiteren großen Pause seinen Auftritt eröffnet. Nachdem man wusste, dass er auf-grund gesundheitlicher Probleme bereits verunglückte Auftritte in den USA hinge-legt hatte, waren sicherlich viele kritische Augen auf den Superstar geworfen, der mit 18 Millionen verkaufter Alben schon zu den ganz Großen der Musikgeschichte gehört. Tatsächlich waren am Freitag die Bewegungen von John Michael Mont-gomery schwerfällig, seine Ansagen zäh und langatmig. Man hatte den Eindruck, dass er sich selbst celebriert, zu viele klischeehafte Gesten erschwerten den Zugang zu ihm und seiner Musik. Gedanken an Elvis in ähnlichem Alter kamen auf. Gesanglich kam John Michael Montgomery allerdings nach “Life’s A Dance”, das er noch sehr unter Wert vorgetragen hatte, rasch immer besser zu Recht und bei seinen genialen Balladen überzeugte er vollständig, “ Rope The Moon”, “I Love The Way You Love Me”, “I Can Love You Like That”. Als Kid der 70-er und 80-er Jahre zeigte er seine wildere Seite bei “Beer And Bones”, “Cowboy Love”, “Be My Baby Tonight” oder “Kickin’ It Up”, dem Titelsong seiner 2. CD, die Platz 1 der Top 200 erreichte. Seine bedeutungsvollen Lieder “The Little Girl” und “Letters From Home” brachte er auch und natürlich seine wichtigsten Hits, die Ballade “I Swear” und das flotte und lustige “Sold”. Die Band spielte noch lange weiter, John Michael Mont-gomery unterschrieb von der Bühne herunter Festivalprogrammhefte, CD-Booklets und anderes. Nach einigen Minuten kam er zurück und spielte auf der E-Gitarre die Country-Rock-Klassiker “Can’t You See” und “Sweet Home Alabama”. Damit über-raschte er seine Band und das Publikum gleichermaßen. Man darf dies als Zeichen dafür werten, dass er dem Publikum alles geben wollte und sich wohl gefühlt hat in Gstaad. Mit diesen beiden Stücken hat er seiner Stimme alles abverlangt, was für den nächsten Tag für Pressekonferenz und Konzert Heiserkeit zur Folge hatte. Er war am Samstag bei der Pressekonferenz sehr gut drauf und hat am Abend in guter körperlicher Verfassung bei weniger einleitenden Worten nochmals richtig sich verausgabt. Die Band konnte ihn bei den beiden Zugaben diesmal schon von An-fang an begleiten, man hat sich rasch auf die entsprechende Erweiterung eingestellt.

Das Wetter hatte am Freitag durch leichten Regen bedingt, am Samstag recht gut mitgemacht, Gstaad 2005 war erneut ein insgesamt erfreuliches Ereignis. Vom 08. bis 10. September 2006 wird es wieder eine Country Night in Gstaad geben, hof-fentlich wieder mit traditioneller Country Music, wie sie Joe Nichols in Vollendung gespielt hat und hoffentlich auch wieder mit dem durchweg sehr guten Sound, der dieses Jahr zu den wirklich nennenswerten Extras gehörte.