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Über die
BLUEGRASS  MUSIC (3)
Bluegrass-Gospel (Teil 3)
Gospel und Bluegrass Music - ein Zeitdokument
Von Eberhard Finke
 

Die Abhandlung "BLUEGRASS-GOSPEL" von Eberhard Finke erschien zuerst in COUNTRY CORNER, 11. Jahrgang Nr. 47 vom Dezember 1975. Den Beitrag veröffentliche ich in 3 Folgen: Einleitung und Blick in die Kirchengeschichte / Gospel und Old Time Music / Gospel und Bluegrass Music

 

Gospel und Bluegrass Music
D
ie Verbindung von Old Time-Gospel zu Bluegrass ist trotz der etwa 30jährigen Lücke hier schnell hergestellt: Zu den alten Instrumenten ist inzwischen nur der String Bass hinzugetreten, das Banjo ist mit neuer Spieltechnik zu neuem Leben erwacht, elektrische Geräte sind im allgemeinen verpönt, die Lieder sind, soweit nicht selbst komponiert, aus dem alten Repertoire übernommen. Doch dieser Anschluß ist nur oberflächlich.

Es gehört in die Biographie jedes besseren Country Musikers, daß er schon als kleiner Junge im dörflichen Kirchenchor gesungen hat. Er ist sicher mit den Wertvorstellungen der Kirche aufgewachsen und hat diese zusammen mit dem musikalischen Erbe der Gottesdienste bewahrt. Ralph Stanley z. B. ist Baptist; in der Kirche seiner Kindheit sang man a capella, d. h. ohne jede Instrumentalbegleitung, und in seinen Konzerten singen alle mit bei "I Saw The Light" und "Swing Low Sweet Chariot". Lester Flatt betont, daß es keine Bluegrassgruppe ohne "hymns" gibt, die in jedem Konzert dargeboten werden müssen. Von Bill Monroe wird berichtet, er habe in den Methodisten- und Baptistenkirchen seines Heimatorts Rosine, Kentucky, wo regelmäßig "singing schools" abgehalten wurden, das alte "shaped-note"-Singen gelernt. Jedes Jahr veranstaltet er ein Wohltätigkeitskonzert zugunsten seiner alten Kirche, natürlich nur mit Gospel. Und er sagt: "Mein Wunsch ist, nach dem richtigen Weg, dem der Religion zu leben. Dies ist mein Wunsch, und ich glaube daran. Ich singe Hymnen, um die Leute wissen zu lassen, daß es einen besseren Weg gibt."

Daneben gibt es Bluegrassgruppen, die sich ausschließlich den Sacred Songs zugewandt haben. Vor allem sind es Familien: die Marshall Family aus Kentucky, die King Countrymen aus Pennsylvania, die Sullivan Family aus Georgia; am bekanntesten ist wohl die Lewis Family, die als erste ein Banjo benützt und somit Bluegrass und Gospel zusammengeführt hat. Vater Lewis war Chorleiter in einer Baptistenkirche gewesen: "Wir hoffen, wir bekommen das Wort Gottes in unsere Songs und erreichen so unsere Zuhörer. Wir sind keine Evangelisten, aber wir wollen, daß sie so glücklich werden wie wir, glücklich durch den Glauben an Gott." Weiter sind Carl Story zu nennen, die House Brothers und die Canaan Valley Brothers - wohlgemerkt alles Bluegrassgruppen, im Unterschied zu den Oak Ridge Boys oder den Blackwood Brothers u.a.

Gospel Songs werden nicht von der ganzen Gruppe interpretiert sondern im allgemeinen von vier Mitgliedern oder einer noch kleineren Auswahl; dies ist ein Erbe der Quartette von James Vaughan und Zeitgenossen und des alten Harmony-Singens der Kirche. Das erste "Bluegrass Quartett" bestand aus Bill und Birch Monroe, Earl Scruggs und Lester Flatt. Sie brachten erstmalig Bluegrass-Gospel auf die Bühne der Grand Ole Opry. Auf Schallplatte ist von dieser Besetzung "Wicked Path Of Sin" vom 17. 9. 1946 erhalten. Die Stanley Brothers nahmen für solches Material den Namen "John´s Gospel Quartet" an.

Wir haben gesehen, daß Bill Monroe auf seiner Deutschland-Tournee das gute deutsche Bier verschmähte und auch nicht rauchte. Er tut dies, sagt er, um seine Stimme zu schonen, aber ein vielleicht unbewußter Rest Entsagung von irdischen Freuden mag da mitspielen. So zeigt sich, daß Bluegrass nicht nur musikalisch sondern auch in den religiösen Haltungen der Musiker tiefe Wurzeln in der Vergangenheit hat. Und um festzustellen, wie konservativ auch sonst Bluegrass ist, schaut man Monroe sogar auf den Anzug und die Haare! (sie seien in den letzten Jahren länger geworden). Die Folgerung daraus, diese übermoralische Haltung sei typisch für den strengen puritanisch-fundamentalistischen Geist, scheint uns aber gar zu gezwungen. Immerhin, ein Bluegrass-Konzert in seinem formalisierten Ablauf hat etwas von einer Zeremonie oder einem Ritual an sich. Und wenn Monroe mit ausgreifenden Armbewegungen seine Zuhörer zum Mitsingen bei "I Saw The Light" bewegen will, fühlt man sich leicht an einen Geistlichen erinnert. Daß dies aber für einen Protestanten, der weder Beichte noch Absolution kennt, ein Ersatz für religiöse Bedürfnisse sei und ein Gefühl von Errettung und Erlösung verleihe, ist für europäische Leser nur schwer nachvollziehbar (Marshall, S. 28 und Fußnote 31 hat solche Ideen).

Die Menge der Gospel Songs im Bluegrass   ist wohl kaum abzuzählen; Marshall führt im Anhang etwa 200 Titel auf (hat sicher manches noch übersehen) und hat sie sinnvoll geordnet und in Themenkreise eingeteilt:

1. Persönliche Errettung. Dies ist - natürlich - das Hauptanliegen fast aller Songs. Gott wird mich erlösen, im Himmel wartet die Erlösung auf mich.
2. "Life´s Rocky Road". Bis dahin aber muß das irdische Jammertal durchmessen werde. "I Am A Pilgrim" auf dem "Wicked Path Of Sin", der die Erlösung so schwer macht.
3. Das Mutterherz. Die Bluegrasswelt ist zwar streng patriarchalisch, das meist besungene Familienmitglied aber ist die Mutter. In den 200 Titeln kommt sie 15 Mal vor, der Vater nur zweimal - und dann hinter der Mutter.
4. Gram um die Verstorbenen. In den meisten Fällen ist auch die Mutter zu betrauern; das Bewußtsein, daß sie im Himmel glücklich ist, tröstet nicht über den irdischen Verlust hinweg. Die ergreifendsten Totenklagen handeln freilich von einem Hund! (Old Shep, Old Blue).
5. Tätigkeit eines guten Christen. Die Erlösung des Menschen läßt sich auch sicherstellen durch Bemühungen im Leben. Durch Arbeit für das Reich Gottes macht sich der Mensch für das Jüngste Gericht bereit.

Zu jeder der fünf Gruppen lassen sich viele Beispiele zeigen, der Leser möge sein eigenes Material heranziehen. Er wird in jedem Gospelsong mindestens eines dieser Themen finden, umgekehrt fast alle Songs mit ihnen abgedeckt sehen - anderes ist in den Texten kaum anzutreffen! Große Theologie ist, wie zu erwarten, nicht zu finden, aber offensichtlich gibt es viele, für die es genug ist.

Literaturhinweis:
Archie Green: "Hear these beautiful sacred selections". JEMF reprint No. 26
Howard Wight Marshall: "Keep on the sunny side of life - pattern and religious expression in bluegrass gospel music". JEMF reprint No. 31